Individualprävention – Seminar für Schichtarbeitende

Mit dem Seminar „Individualprävention für Beschäftigte in der Branche Glas und Keramik mit Schichtarbeit“ bietet die VBG in der BG Klinik in Bad Reichenhall eine individualpräventive Maßnahme für Versicherte an, die durch ihre Tätigkeit von ersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen betroffen oder bedroht sind.

Die VBG unterstützt die betriebliche Prävention zunehmend durch Maßnahmen der Individualprävention, um damit die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu stärken. Im Zusammenspiel von Prävention und Rehabilitation werden Handlungsbedarfe identifiziert und individuelle Gesundheitsmaßnahmen gegen das Auftreten oder die Verschlimmerung der Folgen von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren entwickelt. Dabei werden alle Gefährdungen betrachtet, die sich aus dem Zusammenwirken verschiedener Risikofaktoren am Arbeitsplatz ergeben.

In der Umkleidekabine bei den Vorbereitungen zum Schichtbeginn
In der Umkleidekabine bei den Vorbereitungen zum Schichtbeginn
Herr Rühl auf dem Weg zum Arbeitsplatz innerhalb seines Betriebes
Auf dem Weg zum Arbeitsplatz: Herr Rühl hält sich regelmäßig durch Joggen und gesunde Ernährung fit. Denn an seinem Arbeitsplatz am heißen Ende der Glasproduktion muss er unter der Abwärme der Schmelzwanne körperlich schwere Tätigkeiten verrichten – und das zu wechselnden Tageszeiten.

Biorhythmus

Schichtdienste können Störungen des Biorhythmus hervorrufen (siehe auch Info-Kasten „Der Biorhythmus“). Diese machen sich zum Beispiel durch Schlafstörungen, Entstehung von Übergewicht, Rückenschmerzen, ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen sowie andere psychosomatische Beschwerden bemerkbar. Dazu kommen branchenspezifische Einflussfaktoren, wie zum Beispiel Lärm und Hitze am Arbeitsplatz oder Tätigkeiten mit Gefahrstoffen.

Gesundheit stärken

Beschäftigten bieten die Maßnahmen der Individualprävention die Möglichkeit, vor dem Entstehen ernsthafter Erkrankungen aktiv zu werden und ihre Gesundheit zu erhalten. Durch das Vermitteln von Wissen und Fertigkeiten werden persönliche Ressourcen gestärkt und die nachteiligen Einflüsse der täglichen Arbeit reduziert. Die Beschäftigten werden dazu motiviert, aktiv etwas für ihre Gesundheit zu tun. Damit lassen sich nicht nur Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit steigern, sondern auch krankheitsbedingte Fehlzeiten im Unternehmen senken.

Betriebsarzt als Ansprechperson

Bei der medizinischen Besprechung mit einem Arzt in seiner Praxis
Schlafsprechstunde bei SCHOTT: Herr Rühl im Gespräch mit Herrn Dr. Michael Christmann, Leiter der Abteilung Medizin & Prävention (rechts im Bild). Hier können auch individuelle gesundheitliche Probleme wie zum Beispiel chronische Krankheiten und persönliche Maßnahmen zur Schlafhygiene besprochen werden.

„Wir machen im Rahmen der arbeitsmedizinischen Sprechstunde Beschäftigte, die bei uns im Unternehmen für eine Individualprävention infrage kommen, gezielt auf das VBG-Angebot aufmerksam und begleiten sie vor und auch nach der Maßnahme“, sagt Dr. Michael Christmann. Der Arbeitsmediziner ist Betriebsarzt und leitet die Abteilung Medizin und Prävention bei der SCHOTT AG in Mainz. Hier ist auch Oberschmelzer Clemens Rühl tätig. Er arbeitet bereits seit 1987 für SCHOTT – immer im Schichtbetrieb. Während des zweiwöchigen VBG-Seminars in Bad Reichenhall erhielt er vielfältige Anregungen, um auch nach dem Seminar weiterhin etwas für seine Gesundheit zu tun (siehe auch Interview „Erfahrungen eines Teilnehmers“).

Auch für andere Unternehmen empfiehlt es sich, die Betriebsärztinnen und Betriebsärzte bei dem Präventionsangebot aktiv einzubinden. Sie sehen die Beschäftigten im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge regelmäßig und sind Ansprechpartner für arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren sowie für individuelle gesundheitliche Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit der Tätigkeit.

Klinik und Lerninhalte

Ansicht von Bad Reichenhall inmitten einer schönen Berglandschaft
Erholsames Umfeld: Das VBG-Präventionsseminar findet in Bad Reichenhall statt, umgeben von der schönen Natur des Berchtesgadener Landes.

Die individualpräventive Maßnahme findet in der Berufsgenossenschaftlichen Klinik Bad Reichenhall statt. Die Klinik ist spezialisiert auf berufsbedingte Atemwegserkrankungen, Haut­erkrankungen sowie Psychotraumatologie. Eine ganzheitlich ausgerichtete Betreuung steht während des zweiwöchigen Aufenthalts im Fokus des interdisziplinären Klinikteams. Dies deckt die Fachrichtungen Arbeits-, Allgemein- und Innere Medizin, Dermatologie, Psychologie, Gesundheitspädagogik, Physio-, Ergo- und Kunsttherapie ab.

Die Anreise erfolgt am Sonntag. Nach einem persönlichen Gesundheitscheck, zum Beispiel durch verschiedene Laboruntersuchungen, ein EKG oder Lungenfunktionstest, wird direkt am Montag für jede teilnehmende Person ein persönlicher Wochenplan entwickelt. Neben individuellen Trainings werden die folgenden Themen in branchenspezifischen Vorträgen vertieft:

  • Auswirkungen der Schichtarbeit auf das Schlafverhalten und auf das persönliche Umfeld,
  • gesunde Ernährung,
  • Bewegungsverhalten und Rückengesundheit,
  • Stressprävention sowie
  • Alltagsdrogen.
  • Der Seminarplan wird individuell ergänzt durch medizinische Therapie- und Trainingsangebote, wie zum Beispiel:
  • medizinische Trainingstherapie wie Ergometer- und Krafttraining,
  • Schwimmen und Wassergymnastik,
  • Massagen und Hydrojet-Anwendungen,
  • Koordination- und Beweglichkeitstraining,
  • Wandern und Nordic Walking,
  • Rückengymnastik und Faszientraining sowie
  • Entspannungstechniken.

Die Teilnehmenden lernen in den Vorträgen und Trainings, wie sie ihre Gesundheit fördern und sich vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen schützen können. Nach der Abreise können die Teilnehmenden auch weiterhin eine Gesundheits-App nutzen, um ihren persönlichen Trainingsplan auch von zu Hause aus durchführen zu können.

Kostenübernahme

Die VBG übernimmt die Kosten für Unterbringung und Verpflegung sowie für alle im Rahmen des Präventionsprogramms vorgesehenen diagnos­tischen und therapeutischen Maßnahmen in der BG Klinik und erstattet außerdem die Kosten für die An- und Abreise nach Bad Reichenhall. Im Gegensatz zu den sonstigen Seminarangeboten der VBG besteht hier kein gesetzlicher Anspruch auf eine Teilnahme nach § 23 SGB VII.

Die Möglichkeit zur Teilnahme sowie die Freistellung während der Maßnahme müssen vorab im Unternehmen geklärt werden.

Anmeldung

Die VBG benötigt das Antragsformular mit den persönlichen, den gesundheitsbezogenen Daten sowie Angaben zur Tätigkeit, einen ärztlichen Befundbericht und den WAI-Fragebogen (Work-Ability-­Index). Anhand des WAI lässt sich einschätzen, ob die aktuelle und zukünftige Beschäftigungsfähigkeit gefährdet ist und gefördert werden sollte. Beim Ausfüllen der Antragsunterlagen hat sich in der Vergangenheit die Unterstützung durch Betriebsärztinnen und Betriebsärzte bewährt.

Die Anmeldeunterlagen sind bei der zuständigen VBG-Bezirksverwaltung oder unter der E-Mail-Adresse: individualpraevention@vbg.de
erhältlich und müssen ausgefüllt an diese gesandt werden. Die VBG prüft die Unterlagen und meldet die Teilnehmenden dann bei der BG Klinik an. Daraufhin wird das Einladungsschreiben mit ausführlichen Informationen an die Teilnehmenden gesandt. Die fünf Termine für das Jahr 2024 sind zu finden unter:
www.vbg.de/seminare-individualpraevention. Pro Seminar können zwölf Personen teilnehmen.

Effekte der Maßnahme

Portraitbild Michael Stegbauer
Dr. Michael Stegbauer ist seit April 2020 Ärztlicher Direktor der BG Klinik für Berufskrankheiten in Bad Reichenhall

„Seit dem Pilotstart im Jahr 2017 haben bis September 2023 – trotz einer Corona-bedingten Pause – über 200 Beschäftigte aus der Branche Glas und Keramik an der Maßnahme teilgenommen“, sagt Dr. Michael Stegbauer, Ärztlicher Leiter der BG Klinik in Bad Reichenhall. Die interne Klinikbefragung ergab, dass die Teilnehmenden im Schnitt 52 Jahre alt sind und ihren Gesundheitszustand zu Beginn der Maßnahme selbst als schlechter im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung einschätzen. Nach dem zweiwöchigen Aufenthalt steigen die Werte zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität an und liegen mit 79,6 über dem Vergleichswert von 77,1 (gemessen nach dem Index EQ-5D-5L der EuroQol Group). „Neben den positiven Rückmeldungen der Seminar­teilnehmenden stehen wir auch im Austausch mit den jeweiligen Betriebsärztinnen und Betriebsärzten und nehmen deren direktes Feedback gern auf. Worüber wir uns besonders freuen: 98 Prozent der Befragten würden die Maßnahme ihren Kolleginnen und Kollegen weiterempfehlen und fanden zu 93 Prozent die vermittelten Seminarinhalte hilfreich“, berichtet Dr. Stegbauer.

Erfahrungen eines Teilnehmers

Wie kamen Sie auf das Seminar? 

Durch Plakate, die hier bei SCHOTT ausgehängt wurden. Daraufhin hatte ich ein Gespräch mit Frau Dr. Bäres vom werksärztlichen Dienst. Sie hat mich zum Präventions­seminar beraten und mit mir zusammen die Antragsunterlagen für die VBG ausgefüllt.

Welche Angebote waren besonders hilfreich?

Die Klinik liegt landschaftlich wunderschön, sodass die Natur einem schon bei der Ankunft guttut. Es gab viele praktische Tipps, um besser nach der Schicht schlafen zu können. Wie zum Beispiel alles abzudunkeln, wenn man schläft, vor allem mittags. Aber auch die Sport- und Bewegungseinheiten habe ich gern gemacht. Zudem wurde man zum Thema Ernährung auf den neuesten Stand gebracht. Dazu wurde gemeinsam gekocht und das erlernte Wissen sofort angewandt.

Konnten Sie das Wissen gut in Ihren (Arbeits-)Alltag einbauen?

Die Sport- und Bewegungseinheiten konnte ich zu Hause gut etablieren. Ebenfalls die Ernährungstipps und vor allem, wie man sich am besten in der Nachtschicht ernährt. Viele Dinge spielen zusammen, damit man nicht nur gut durch seine Schicht kommt, sondern auch sein Privat­leben nicht vernachlässigt.

Wie hat SCHOTT Sie noch bei der Teilnahme unterstützt?

Das Seminar umfasst zwei Wochen. Davon bringen wir als Beschäftigte fünf Tage Urlaub ein, die übrigen fünf Tage werden wir von SCHOTT bezahlt freigestellt.

Clemens Rühl Oberschmelzer bei SCHOTT
Clemens Rühl, Oberschmelzer bei SCHOTT

In der Umkleidekabine bei den Vorbereitungen zum Schichtbeginn
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