In der Branche Glas und Keramik betreffen die meisten Verdachtsanzeigen für eine Berufskrankheit (BK) das Krankheitsbild der Lärmschwerhörigkeit. Die Betroffenen müssen zeitlebens mit einer Einschränkung leben. Deshalb kommt es auf vorbeugende Maßnahmen gegen Lärm im Unternehmen an.
„Musik wird störend oft empfunden, weil stets sie mit Geräusch verbunden“, reimte einst der Schriftsteller Wilhelm Busch. Das war zu einer Zeit, als es das Wort „Lärmemission“ noch gar nicht gab. Dennoch beschreibt das Zitat ein Phänomen, das auch heute noch gilt: Auch musikalische Meisterwerke können zu einer Lärmschwerhörigkeit führen – wenn man sie nur oft und laut genug hört. Künstler wie Pete Townshend (The Who), Lars Ulrich (Metallica), Eric Clapton (Cream) oder Phil Collins (Genesis) zählen zu einer langen Liste von berühmten Musikern, deren Gehör unter zu viel Lärm stark gelitten hat. Die Krankheit betrifft indes auch zahlreiche andere Berufsgruppen – wie etwa die Branche Glas und Keramik.
Lärm macht krank
Lärm kann nicht nur zu Schwerhörigkeit führen, sondern auch andere Auswirkungen haben, wie etwa Nervosität, Schlaflosigkeit, Blutdruckerhöhung oder Stoffwechselstörungen. Hinsichtlich der Gehörschädigung gibt es eine Dosis-Wirkungs-Beziehung. Sie entsteht, wenn ein zu lautes Geräusch zu lange andauert oder zu oft wiederholt wird. Die Sinneszellen für die Wahrnehmung des Schalls, die „Haarzellen“, können durch Lärmeinwirkungen geschädigt werden. Dafür ist das Risiko individuell unterschiedlich hoch.

Schleichende Erkrankung
Bei der Lärmschwerhörigkeit kommt die Erkrankung schleichend und bleibt daher oft lange Zeit unbemerkt. Sie ist nicht heilbar – mit den Folgen müssen Betroffene ein Leben lang klarkommen. Es beginnt in der Regel damit, dass leise Geräusche im Hochtonbereich nicht mehr so gut gehört werden. Nach und nach wird die Sprachverständlichkeit schlechter und so die Kommunikation mit anderen erschwert (siehe Interview unten). Durch Umgebungsgeräusche wie Straßenverkehr, Kneipenlärm oder Hintergrundmusik wird das Problem noch verstärkt. Somit wirken sich Hörschäden nicht nur im Beruf aus – sie beeinflussen auch das Privatleben. Viele Betroffene kapseln sich von ihren sozialen Kontakten ab. Sie schämen sich, weil sie vieles nicht hören und oft nachfragen müssen. Einen markanten Satz zu diesem Thema prägte schon der Philosoph Immanuel Kant im 18. Jahrhundert: „Nicht sehen trennt von den Dingen, nicht hören trennt von den Menschen.“
Lärmexpositionspegel
Maßgebend für die Beurteilung der Lärmeinwirkungen im Unternehmen ist der sogenannte Tages-Lärmexpositionspegel. Dieser ist der über die Zeit gemittelte Lärmexpositionspegel bezogen auf acht Stunden. Er umfasst alle am Arbeitsplatz auftretenden Schallereignisse. Nähere Informationen hierzu vermittelt unter anderem die DGUV Information 209-023 „Lärm am Arbeitsplatz“.
Fragen an den Experten
Gibt es in Unternehmen Lärmquellen, die für das menschliche Gehör besonders schädlich sind?
Es ist nicht sinnvoll, die schädigende Wirkung von Lärm nach dessen Herkunft zu unterscheiden. Lang einwirkende Motorengeräusche oder Lärm durch zum Beispiel Schmiedehämmer sind gleichermaßen in der Lage, das Innenohr dauerhaft zu schädigen, sofern die Geräuschpegel hoch genug sind.
Welcher vom menschlichen Gehör wahrgenommene Frequenzbereich wird durch Industrielärm geschädigt?
Die Lärmschwerhörigkeit beginnt typischerweise im Frequenzbereich um 4.000 Hertz. Das Gehör ist in diesem Bereich besonders empfindlich. In diesen Frequenzhöhen findet das Verstehen der Sprache statt. Die Schädigung breitet sich bei fortbestehender Lärmeinwirkung auf benachbarte Frequenzbereiche aus. Die Lärmschwerhörigen leiden daher insbesondere an einer gestörten Wahrnehmung von Sprachinformationen.
Kann man sich an hörschädigenden Lärm gewöhnen?
Anders als beim Sehen kann der Mensch seinen Hörsinn nicht „abstellen“. Bei sehr lauten Geräuschen unternimmt das Ohr zwar den verzweifelten Versuch, seine Empfindlichkeit herabzusetzen. In der subjektiven Wahrnehmung erscheint der Lärm dadurch weniger unangenehm. Dieser Schutzreflex ist aber überhaupt nicht in der Lage, das Innenohr vor schädigenden Lärmwirkungen zu schützen beziehungsweise eine Lärmschwerhörigkeit zu vermeiden.
Ist das Gehör das einzige Organ, das unter einer Lärmbelastung leidet?
Nein, denn Lärm kann vielfältige Auswirkungen auf den menschlichen Organismus haben. Betroffen sein können beispielsweise die Fähigkeit, kreative Aufgaben zu lösen, die Schlafqualität, der Stoffwechsel oder der Blutdruck. Eine chronische Lärmbelastung verschlechtert den Krankheitsverlauf von Personen, die unter chronischen Erkrankungen leiden, zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes mellitus.
Ist eine Lärmschwerhörigkeit heilbar?
Nein, die Schädigung ist dauerhaft. Die chronische Lärmeinwirkung „fährt wie ein Rasenmäher“ über die Sinneszellen des Innenohrs und zerstört die Sinneshärchen. Hörgeräte können helfen, die Hörminderung auszugleichen. Allerdings ist die Korrektur nicht vergleichbar mit der einer Brille bei Fehlsichtigkeit. Ein Hörgerät verstärkt den Schall und kann bestimmte Frequenzbereiche gezielt anpassen. Doch die Klangqualität bleibt eingeschränkt und das Gehörte wird oft als weniger natürlich empfunden. Oft ist zudem das Richtungshören eingeschränkt.

Schutzmaßnahmen gegen Lärm

Aus Sicht des Arbeitsschutzes spricht man von „gehörschädigendem Lärm“ bei Geräuschen, die lauter sind als der obere Auslösewert.
Wird dieser Auslösewert erreicht oder überschritten, ist eine Vielzahl von Maßnahmen durch das Unternehmen zu ergreifen. Dabei gilt die Reihenfolge des STOP-Prinzips: Substitution (Vermeiden der Lärmquelle), dann technische, nachfolgend organisatorische und zuletzt personenbezogene Maßnahmen.
Im Rahmen der Substitution sollen möglichst lärmarme Geräte und Verfahren zum Einsatz kommen. Dies können lärmarme Druckluftdüsen oder schallgeminderte Sägeblätter sein oder das Schweißen von Bauteilen anstelle von Nieten.
Beispiele für technische Maßnahmen sind die Kapselung von lärmverursachenden Einrichtungen und die Realisierung von raumakustischen Verbesserungen.
Zu den organisatorischen Maßnahmen gehören die Anpassung der Arbeitsabläufe, die zeitliche Trennung von Mitarbeiter und Lärmquelle und die Beratung der Beschäftigten im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge zu Schutzmaßnahmen gegen die Lärmeinwirkung (technisch, organisatorisch, PSA).

Im unteren Rang stehen die personenbezogenen Maßnahmen wie die Bereitstellung und Trageverpflichtung von persönlicher Schutzausrüstung gegen Lärm. Hierbei muss sichergestellt werden, dass wichtige Informationen und Warnsignale trotz der Geräuschdämmung wahrgenommen werden können. Auch die arbeitsmedizinische Untersuchung der Betroffenen ist eine personenbezogene Maßnahme. Bei Tages-Lärmexpositionspegeln über 85 dB(A) müssen die Beschäftigten den Gehörschutz konsequent benutzen und an der arbeitsmedizinischen Vorsorge teilnehmen. Ab dem unteren Auslösewert ist Gehörschutz zur Verfügung zu stellen und arbeitsmedizinische Vorsorge anzubieten.
Bereits unterhalb der unteren Auslöseschwelle, sie liegt bei 80 dB, besteht im Rahmen des Minimierungsgebots von Gefährdungen Handlungsbedarf. Weitere Grenzwerte gegen Lärm ergeben sich aus der Arbeitsstättenverordnung mit 55 dB für „geistige“ beziehungsweise 70 dB für „mechanische“ Bürotätigkeit.
Lärmeinwirkung verhindern
Im Arbeitsalltag gehört Lärm in vielen Bereichen dazu. Das heißt aber nicht, dass eine Lärmschwerhörigkeit bei den Versicherten programmiert ist. Die Erkrankung kann durch konsequent umgesetzte Maßnahmen verhindert werden (siehe auch Interview unten). Nach dem STOP-Prinzip ist es dabei am besten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dem Lärm gar nicht erst auszusetzen: durch leise Maschinen, Einhausungen, Kapselungen oder raumakustische Maßnahmen.
Fragen an die Experten
Wie sind Sie im Unternehmen vorgegangen, um die Lärmgefährdungen zu ermitteln?
Mike Stärtzner: Gemeinsam mit unserer Fachkraft für Arbeitssicherheit, Herrn Duszkewitz, haben wir die Informationen aus Lärmdatenblättern genutzt und durch den messtechnischen Dienst der VBG wurden Schallpegelmessungen durchgeführt. Daraus wurde dann die Lärmexposition an den Arbeitsplätzen ermittelt.
Mit welchen Maßnahmen konnten Sie bereits den Lärmpegel senken?
Mike Stärtzner: Wir haben Druckluftpistolen mit lärmarmen Viellochdüsen umgerüstet, Druckluftschrauber (Schlagschrauber) wurden mit Schalldämpfern ausgestattet. Ergänzend wurde die Anordnung der Arbeitsplätze so verändert, dass sich der Abstand zur Lärmquelle vergrößerte. Einzelne laute Maschinen wurden zur Lärmminderung eingehaust.
Wie konnten Sie die Trageakzeptanz von Gehörschutz bei Ihren Mitarbeitern verbessern?
Sven Duszkewitz: Durch die Beschaffung von individuell angepasstem Gehörschutz. Diese Otoplastiken dämmen nur so viel wie nötig, dank geeigneter Filterwahl, und passen „maßangefertigt“ in das Ohr, ohne zu drücken. Der Zuschuss durch das Prämienverfahren der VBG hat uns beim Kauf gut unterstützt.
